Die Worttaubheit oder auch auditorische Aphasie genannt ist eine Form der Seelentaubheit. Der englische Ausdruck dieser Sprachstörung ist auditory verbal agnosia oder umgangssprachlich auch word deafness. Patienten mit einer Worttaubheit können fließend sprechen, allerdings die Bedeutung der Worte nicht erkennen. Sie verstehen Gesprochenes sehr schlecht, können die gehörten Sätze nicht wiederholen und haben erhebliche Schwierigkeiten beim Schreiben von Diktaten. Die Betroffenen einer Worttaubheit hören die Sprache ihres Gesprächspartners nur als nonverbale Geräusche, können aber selbst Sätze bilden und so ganz normal Botschaften kommunizieren.
Der Gehörsinn ist bei dieser Art von Taubheit nicht beschädigt, sodass es sich in keinem Fall um eine praktische bzw. „echte“ Taubheit handelt, sondern eher um eine klinische Taubheit. Doch wie kommt es zu einer Worttaubheit? Wieso verstehen Menschen, welche eine Sprache beherrschen und hören können, die Worte dieser Sprache nicht, wenn sie gesprochen werden?
Jedes Geräusch ist zunächst eine Schalldruckwelle, die sich durch die Luft oder im Wasser fortbewegt. Trifft diese Schalldruckwelle auf das Trommelfell, welches zwischen Außen- und Mittelohr liegt, beginnt dieses zu schwingen. Die Schwingungen werden an die Gehörknöchelchenkette weitergegeben, welche wiederum die Bewegung an das Innenohr übermittelt. Im Innenohr nehmen die Haarsinneszellen die Schwingungen auf und transformieren diese in elektrische Impulse für die Nervenbahnen. Die Nervenbahnen führen zum Gehirn, bei dem die Schallwellen letztendlich als Geräusche ankommen. Bei Menschen mit einer Agnosie für Sprachlaute funktioniert dieser Übertragungsweg einwandfrei. Der Fehler liegt folglich im Gehirn. Unser Gehirn besteht aus zwei Hälften, die wiederum durch eine querverlaufende Furche in vier Hirnlappen unterteilt werden. Die Großhirnrinde, kurz Cortex, welche die äußere an Nervenzellen reiche Schicht des Gehirns beschreibt, ist in sogenannte Brodmann-Areale aufgeteilt. Bei einer Worttaubheit weist der auditorische Cortex oder auch Hörcortex genannt, des Schläfenlappens Läsionen auf. Die Geräusche können weder analysiert noch interpretiert werden. Die Worttaubheit kann entweder angeboren sein oder durch eine Schädelverletzung oder -erkrankung mit einer Einblutung im Gehirn verursacht werden.
Die Worttaubheit zählt zu den sogenannten Aphasien, also zu den erworbenen Sprachstörungen, welche das Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben betreffen. Diese Störungen treten aufgrund verschiedener Erkrankungen mit folgender Wahrscheinlichkeit auf:
80 % Schlaganfall
10 % Schädel-Hirn-Trauma
7 % Hirntumor
1 % Hirnatrophie
1 % Entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS)
1 % Hypoxie (Sauerstoffmangel)
Die Wernicke-Aphasie, früher auch sensorische Aphasie genannt, ist eine nach dem deutschen Psychiater Carl Wernicke benannte Form der Worttaubheit. Die Ursache dieser Worttaubheit entsteht durch die komplette oder partielle Schädigung des subcorticalen Bereichs des sensorischen Sprachzentrums (Wernicke-Areal oder -Zentrum). Patienten können zwar auch hier fließend sprechen, aber verstehen die Worte ihres Gegenübers nicht. Es ist zudem das mentale Lexikon beeinträchtigt, sodass Bezeichnungen nur schlecht abgerufen und in der korrekten Lautfolge realisiert werden. So schaffen Menschen mit dieser auditiven Wahrnehmungsstörung ständig Neologismen, sodass man den Sinn im schlimmsten Fall nicht mehr nachvollziehen kann. Zusätzlich bestehen Schreibstörungen und eine Störung des Leseverständnisses. Diese Lautagnosie kann des Weiteren Logorrhoe als ein Begleitsymptom haben, welches den Drang sich übermäßig viel Verbal vermitteln zu müssen, meint.
Neben der Worttaubheit, also der generalisierten auditiven Agnosie, werden zwei weitere Formen der Seelentaubheit unterschieden: Die reine Geräuschagnosie und die affektive auditive Agnosie. Bei Betroffenen einer reinen Geräuschagnosie treten die selben Symptome wie bei einer Worttaubheit auf; es liegt jedoch außerdem eine Beeinträchtigung in der Fähigkeit, nonverbale Alltags- und Umweltgeräusche zu identifizieren, vor. Zwar äußert sich die affektive auditive Agnosie wiederum in den selben Symptomen wie eine reine Geräuschagnosie, ergänzend hierzu weist jedoch die Fähigkeit, gesprochene Sprache mit paralinguistischen oder metalinguistischen Informationen zu verbinden, eine Störung auf. Das heißt, dass Betroffene zwar den sprachlichen Inhalt erfassen, jedoch nicht in der Lage sind, beispielsweise das Geschlecht, die emotionale Betonung oder das ungefähre Alter einer Person zu verstehen.
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